Hochwasser Thun 2005


 

 

Im August 2005 wurde ein Depot des Bernischen Historischen Museums in Thun vom Hochwasser betroffen. Während drei Tagen stand das Depot mit ca. 2’500 Objekten unter Wasser. Innerhalb kürzester Zeit musste eine Organisation zur Bewältigung der Katastrophe aufgebaut werden.

Foto: KGS-Zivilschutzleistende und Mitarbeitende des Museums bergen gemeinsam die Kulturgüter, © Bernisches Historisches Museum

Das Historische Museum Bern betrieb seit 1989 ein Aussendepot im Kellergeschoss eines grossen Industriebaus in Thun. Beim «Jahrhunderthochwasser» von 1999, welches andernorts immense Schäden anrichtete, blieb dieses Depot unbehelligt. Dass der Standort Risiken in sich barg, war der Museumsleitung bewusst. Sie richtete daher ihre Strategie auf die Errichtung eines Erweiterungsbaus mit sicheren Depots, welcher die Auflösung der ungünstigen Aussenstandorte erlauben würde. Tatsächlich wurden für dieses Projekt 2005 die Baukredite gesprochen. Tragischerweise wurde das Thuner Depot mit dem darin eingelagerten Sammlungsgut nur wenige Monate danach von der Hochwasser-Katastrophe vom August 2005 überrascht.

Am Dienstag, dem 23. August 2005, drang aufgrund des stark angestiegenen Grundwasserspiegels Wasser durch ein Kellerfenster in einen benachbarten Raum. Über die Korridore verteilte sich das Wasser im gesamten Kellergeschoss. Einsatzkräfte der Thuner Energieversorgung und der Feuerwehr kümmerten sich um die im Haus untergebrachte Trafo-Station. Doch die Leistung der eingesetzten Pumpe reichte nicht aus, um den Wasserpegel zu senken.


Die Überflutung


Am nächsten Morgen stand das Wasser in den Gängen schon auf einer Höhe von 65 cm und stieg weiter. Sandsäcke oder Pumpen, die das Eindringen des Wassers ins Depot hätten hemmen können, waren nicht aufzutreiben. Nach drei Tagen erreichte das Wasser mit 226 cm seinen Höchststand. Zwei Drittel der 2’500 Objekte, die im Depot lagerten, wurden vollständig durchnässt. Auch die übrigen Güter, die auf einer Galerie nur knapp über dem Wasserspiegel vor dem direkten Wasserkontakt geschützt waren, waren während Tagen der hohen relativen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt.


Der Krisenstab

Das Historische Museum setzte zur Bewältigung der Katastrophe einen in aller Eile gebildeten Krisenstab ein. Es galt, so schnell wie möglich die Kulturgüter aus dem überfluteten Depot zu bergen und sie in einem Zwischenlager zu registrieren, zu reinigen und sachgerecht zu lagern. Doch fehlte es dafür zu Beginn nicht nur an den geeigneten Mitarbeitenden, sondern auch an einem geeigneten Ort. Aufgrund der Medienberichte wurde uns jedoch schnell von vielen Seiten in dankenswerter Weise Hilfe angeboten. Die Stiftung Historisches Material der Schweizer Armee stellte uns vorübergehend das Zeughaus in Seftigen zur Verfügung; Mitarbeitende von Kulturgüterschutz und Denkmalpflege halfen in den ersten Tagen mit Know-How, Material und grossem Körpereinsatz die Situation zu meistern. Ohne diese Hilfe wären die Rettungsmassnahmen deutlich langsamer und beschwerlicher angelaufen.
So gelang es aber innerhalb weniger Tage, an zwei Einsatzorten einen Betrieb mit bis zu 40 Mitarbeitenden aufzubauen. Es musste die Infrastruktur für Bergung, Registratur, Reinigung, Konservierung und Lagerung erstellt werden; die Einsatzkräfte benötigten aber auch Verpflegung, Transportmöglichkeiten und Besoldung. Die Personal- und Finanzdienste des Museums vollbrachten eine logistische Glanzleistung, da zeitlich parallel zur Schadensbewältigung auch die grossen Projekte des Einsteinjahrs einen vollen Einsatz forderten.

Knochenarbeit mit Fingerspitzengefühl

Die Bergung in Thun war Knochenarbeit, gepaart mit Fingerspitzengefühl. Die Objekte hatten bereits während drei bis vier Tagen im Wasser gestanden und waren dementsprechend schwer; grosse Schränke und Truhen waren umgestürzt und hatten sich verkeilt. Viele Einzelteile waren durch die Bewegung im Wasser oder aufgrund der wasserlöslichen Leime vom Objekt getrennt worden, weshalb die Einsatzkräfte buchstäblich im Trüben nach diesen Teilen fischen mussten.
Hinzu kam die Gefährdung durch die Kontaminierung des Wassers und durch Sporen beim zu erwartenden massiven Pilzbefall. Alle Helfer:innen und Mitarbeiter in Thun und Seftigen erhielten deshalb eine Instruktion im Umgang mit gesundheitsschädlichen Hilfsstoffen und Schutzmassnahmen.
Die Hilfskräfte arbeiteten tagelang im hüfthohen Wasser, denn dieses durfte wegen drohender Stabilitätsschäden am Gebäude nicht abgepumpt werden. Generatoren und Gebläse sorgten für Licht, Frischluft und reichlich Lärm, und jedes Objekt musste über die Galerie durch ein aufgebrochenes Fenster hinausgereicht werden, da der Lift nicht mehr funktionierte und auch das Treppenhaus nicht zugänglich war.
Mit Hilfe eines Krans wurden die einzelnen Gegenstände aus dem Wasser geborgen. Die schwersten Objekte – darunter vier lebensgrosse Pferdemodelle – konnten erst nach einer guten Woche aus dem Depot geborgen werden. Erst dann war das Wasser soweit gesunken, dass der Warenlift behelfsmässig wieder in Betrieb genommen werden konnte.

Zwischenlager in Seftigen

Im Zwischenlager in Seftigen trafen während Tagen Lastwagen voller triefender Objekte und Einzelteile ein. Da die unterschiedlichen Materialien des Sammlungsguts auch spezifische Probleme, Behandlungs- und Lagerungsbedürfnisse mit sich brachten, wurden die Gegenstände gleich nach der Ankunft in einer Triage sortiert. Jedes Objekt erhielt eine Laufnummer, die der Zuweisung in die Materialkategorien Holz, Holz-Metall, Metall, neue Materialien, Polster und Weiteres sowie der Identifikation in einer aufzubauenden Datenbank diente. Als nächstes wurden alle Stücke einzeln fotografiert, registriert und die Schäden dokumentiert.
In zwei gesonderten Abläufen wurden die Gegenstände anschliessend gereinigt und gelagert. Das Ziel in beiden Abläufen war die schnellstmögliche Stabilisierung der Objekte bei möglichst geringem Schaden. Das erforderte einerseits bei den Objekten aus Holz oder mit hohem Holzanteil und den Polstermöbeln eine behutsame Trocknung, die sich über Wochen und Monate hinziehen sollte. Bei den Metallobjekten und den neuen Materialien anderseits stand eine schnelle Trocknung im Vordergrund. Neben den bereits erwähnten unmittelbaren Schäden infolge der Überflutung des Depots kamen nun Schimmelbildung und drohender Rost hinzu.
Die Lagerung der Holzobjekte gestaltete sich wegen der Grösse und Anzahl schwierig. Die Halle, die für die Zwischenlagerung zur Verfügung stand, war klimatisch kaum zu kontrollieren. Das warme Septemberwetter führte zusammen mit der Feuchtigkeit, welche die Sammlungsobjekte abgaben, zu einem Klima, das dem Schimmel hervorragende Wachstumsbedingungen bot. Wenigstens verhinderte dieses Klima ein zu schnelles Austrocknen und eine damit verbundene mögliche Rissbildung. Bei einer Temperatur von gut 30° C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von über 90% wurden unter Leitung des Berner Möbelrestaurators Ulli Freyer die Rück- und Seitenwände sowie Schubladen entfernt, um die Durchlüftung des Mobiliars zu fördern. Ventilatoren und Gebläse sorgten für einen andauernden, sanften Luftzug, der die Ausbreitung des Schimmels verhinderte. Stellen, die bereits von Schimmel befallen waren, wurden mit einem Ethanol-Wasser-Gemisch behandelt. Dieser Vorgang musste solange wiederholt werden, bis das Mikroklima der befallenen Objekte keine weitere Schimmelbildung mehr zuliess. Bereits vier Wochen nach der Überflutung konnte diese Behandlung abgeschlossen werden.
Die restlichen, nicht-hygroskopen Objekte gaben in der ersten Phase mehr Arbeit, da sie so schnell wie möglich getrocknet werden mussten. In langen Reihen wurde das Sammlungsgut von Wasser befreit, grob gereinigt und auf weitergehende Schäden untersucht. Zu diesem Zweck mussten nahezu alle technischen Geräte geöffnet oder in Teilen demontiert werden, denn das Wasser suchte sich seinen Weg zu jedem versteckten Hohlraum und konnte allein durch Ausschütten nicht von dort entfernt werden.
Die Behandlung komplexer Geräte und Apparate übernahmen Berliner Restauratoren:innen der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW). Dort werden seit 1993 Spezialist:innen für die Restaurierung von technischem Kulturgut ausgebildet. Die sechs Fachkräfte konnten Wissen und Erfahrung vom Elbe-Hochwasser in Dresden aus dem Jahre 2002 einbringen und den Kampf gegen den Rost binnen kürzester Frist aufnehmen. Dabei kamen neben trocknenden Kompressen und Gebläsen an verdeckten oder schwer erreichbaren Stellen auch wasserverdrängende Öle wirkungsvoll zum Einsatz. Mussten die Möbel und hölzernen Objekte wegen möglicher Schädigung durch zu schnelles Trocknen vor zu viel Sonnenlicht geschützt werden, konnten die metallenen Objekte in der warmen Sommerluft schnell ohne grosse technische Hilfsmittel erwärmt und getrocknet werden.
UV-Licht-empfindliche Kunststoffe und Lacke wurden dabei vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt, um ein Ausbleichen und einen beschleunigten Alterungsprozess zu verhindern.
Die vollständige Trocknung dieser Objekte erfolgte dann in einem Kellergeschoss bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 35%, bevor die Güter temporär konserviert wurden und nun auf eine weitere Bearbeitung warten.

Auf ins neue Depot

Ein wichtiges Anliegen war natürlich, keine schädlichen Organismen in die neuen Depots einzuschleppen. Nachdem das geborgene Kulturgut stabilisiert war, begann deshalb die Schädlingsbekämpfung. Die Wahl fiel auf das schadstofffreie Thermo Lignum® Warmair Verfahren. Dabei werden die Objekte bei geregelter Luftfeuchtigkeit für eine gewisse Zeit Temperaturen über 50° C ausgesetzt, so dass alle Eiweisse von Schädlingen denaturieren. Dadurch werden Insekten in allen Entwicklungsstadien abgetötet. Bereits zwei Monate nach der Überflutung war der gesamte Bestand aus Thun im neuen Depot eingelagert.
Damit war der Hochwasserschaden aber noch nicht völlig bewältigt. Hunderte von Einzelteilen mussten wieder mit den Hauptobjekten zusammengeführt werden, andere gingen gänzlich verloren. Viele Objekte waren zerlegt oder beschädigt. Bisher konnten nur die wichtigsten und wertvollsten Stücke der Restaurierung durch externe Fachkräfte zugeführt werden. Doch das neue Depot ermöglichte nun auf 1’300 m2 eine rationelle Bewirtschaftung der Sammlungsbestände unter klimatisch besten Bedingungen. Ausserdem konnte das Museum ein Restaurierungsatelier einrichten, das jedem Objekt seine individuelle Bearbeitung im Hinblick auf künftige Ausstellungen ermöglichte.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Tino Zagermann für das KGS-Forum 8/2006 und wurde nur leicht aktualisiert. Die gesamte Broschüre lässt sich hier herunterladen.

Aufgabenbereich:

Ich war Koordinator und Einsatzleiter für die Hochwasserbewältigung. Ab Januar 2006 war ich Depotverwalter und Projektmanager am Historischen Museum Bern.